50 Jahre Gebietsreform

50 Jahre Gebietsreform

Fotos: Franz Dilger, Corinna Eichberger-Renneisen, Text: Christoph Bergmann

 

Es liegt in einer anmutigen Gegend, hat eine international bekannte Attraktion zu bieten und ist für die Bahn sogar ein kleiner Verkehrsknotenpunkt. Von dort aus ist man ähnlich schnell am Lech wie am Ammersee, trotzdem hat es S-Bahn-Anschluss an München. Und es konnte in diesem Jahr ein rundes Jubiläum feiern, das in Bruck eigentlich für Wehmut sorgen müsste: Seit 50 Jahren gehört das kleine Geltendorf wieder zum Landkreis Landsberg. Vor dem ersten Teil der bayerischen Gebietsreform im Jahr 1972 hatte eine knappe Mehrheit der Einwohner dafür gestimmt, ihre bisherige Heimat Fürstenfeldbruck zu verlassen.

 

Die Neugliederung der Landkreise als erster Schritt der Gebietsreform sollte leistungsfähigere und kostengünstigere Verwaltungen schaffen. Von 143 in Bayern blieben am Ende 71 übrig. Die Reform war von langer Hand vorbereitet. Im Innenministerium beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe mit der Planung, ein Mitglied war der spätere Brucker Landrat Gottfried Grimm. Und der erinnert sich, dass der relativ einwohnerschwache Landkreis Landsberg damals „auf der Kippe“ stand. Bedingung fürs Überleben war demnach ein Wachstum durch Grenzgemeinden aus Fürstenfeldbruck und Schongau. Trotz dieser Vorgaben sollten aber auch nicht ganz über die Köpfe der Menschen hinweg Tatsachen geschaffen werden. So kam es in allen zum Wechsel vorgesehenen Gemeinden, auch den vieren, die heute Groß-Geltendorf ausmachen, zu Volksabstimmungen.

 

Im eigentlichen Geltendorf kam es damals zu einem richtigen Wahlkampf. Wo genau die Fronten verliefen, lässt sich heute nicht mehr recht rekonstruieren. Der frühere Bürgermeister Peter Bergmoser, der zwar erst viel später ins Amt kam, aber der letzte, noch lebende Gemeinderat von 1972 ist, glaubt, dass vor allem die Richtung München orientierten Pendler zu Bruck tendierten. Die Landsberg-Anhänger malten dagegen das Schreckgespenst einer späteren Fusion mit Türkenfeld an die Plakatwände. Mit dem vier Kilometer entfernten Nachbarort gab es zwar einen Hauptschulverbund, aber ansonsten kaum Bindungen, wie der Gemeinderat befand. Und Türkenfeld hätte nach dieser Version, von der laut Grimm die Arbeitsgruppe allerdings nichts wusste, Sitz der gemeinsamen Verwaltung werden sollen. Und dass, obwohl Geltendorf gerade erst seine neue, schmucke Gemeindekanzlei eröffnet hatte.

 

Die Beziehungen zu den jeweiligen, ungefähr gleich weit entfernten Kreisstädten scheinen nicht den Ausschlag gegeben zu haben. Wenn man schon mal ins Landratsamt musste, war der Zug, kurz darauf die S-Bahn, nach Bruck die schnellere Alternative als – wie übrigens heute noch – auf dem Weg nach Landsberg in Kaufering umsteigen zu müssen. Bei gesundheitlichen Problemen orientierte man sich dagegen eher nach Westen als sich der Brucker Klinik anzuvertrauen, die seinerzeit zumindest mit einem Image-Problem zu kämpfen hatte. Und was das Kultur-Angebot anging, steppte in beiden Städten nicht gerade der Bär. Die mobile Jugend war eher in der Baindlkirchner Disco oder im Eglinger Sommerkeller zu finden, weiß ein Zeitzeuge.

 

Die damaligen „Brucker Nachrichten“ holten vor der Abstimmung Volkes Stimme ein. Die 82-jährige Zenta erklärte zwar, „nix von Politik“ zu verstehen, wunderte sich aber, dass „wir auf einmal woanders hinsollen. Das bringt doch nur unnötige Kosten.“ Ein örtlicher Landwirt argumentierte dagegen mit der absehbaren Großgemeinde Geltendorf. Wenn aber daraus nichts werde, bleibe man gerne in Bruck. An den Zäunen hingen vor dem Bürgerentscheid im Juli 1971 jedenfalls eindeutige Aufforderungen: „Wir wollen selbstständige Gemeinde bleiben. Deshalb zu Landsberg!“ hieß es auf einem Plakat. „Landsberg bedeutet Rückschritt. Für den Fortschritt Fürstenfeldbruck!“ konterten die Gegner. Bei einer Wahlbeteiligung von 72,6 Prozent stimmte schließlich eine knappe Mehrheit von 55,7 Prozent für die Trennung von Bruck. Der Gemeinderat folgte später mit ebenso knappen sechs zu fünf Stimmen.

 

Begehrliche Blicke warfen die Geltendorfer damals zwar auch auf Eresing und Schwabhausen als mögliche neue Ortsteile, mussten sich dann aber mit drei Neuerwerbungen begnügen. In Kaltenberg und Walleshausen (beide schon Landkreis Landsberg) stimmte jeweils die Mehrheit der Einwohner für den Anschluss, nur die Fürstenfeldbrucker Gemeinde Hausen bei Geltendorf zeigte sich mehr als spröde. Einstimmig folgte dort der Gemeinderat dem „eindeutig feststehenden Willen der Bevölkerung“ und votierte für eine „Fusion“ mit Moorenweis. Hier zählte der Wunsch der Einwohner allerdings wenig, denn per „Rechtsverordnung“ wurde das Dorf dem Landkreis Landsberg zugeschlagen.

 

In Bruck scheint sich die Aufregung über die Gebiets- und Bevölkerungsverluste in Grenzen gehalten zu haben. Und dies, obwohl nicht nur das immerhin relativ wirtschaftsstarke Geltendorf und eben Hausen an Landsberg abgetreten werden mussten. Mit Baierberg, Hausen bei Hofhegnenberg, Hofhegnenberg selber und Steindorf kamen gleich vier Gemeinden an den neuen Groß-Landkreis Aichach-Friedberg und Ebertshausen wurde Dachau zugeschlagen. Bruck müsse im Westen eben Abstriche machen, um die Nachbar-Landkreise zu erhalten, soll der damalige Innenminister Bruno Merk geäußert haben. Und verwies auf das zu erwartende riesige Bevölkerungswachstum in den an München grenzenden Gemeinden.

 

So gingen schöne Gegenden und pittoreske Orte, wie das idyllische Hofhegnenberg, verloren, aber Landrat Grimm hatte damals „nie das Gefühl, dass das die Leute in Bruck besonders interessiert hat“. Vielleicht, weil es sich bei den meisten Abtrünnigen schon um halbe Schwaben handelte, vielleicht, weil die Orte zu unbedeutend waren und zu weit ab vom Schuss lagen. In Geltendorf dagegen soll es noch jahrelang Grantler gegeben haben, die mit der Entscheidung haderten. Christoph Bergmann

Michael Kaller und Katrin Neoral

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Fundamente setzen für die Zukunft

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