Olympia 1972

Olympia 1972

Fotos: Carmen Voxbrunner / Archiv - Text: Christoph Bergmann


Für Militär-Piloten war die Wiege der bundesdeutschen Luftfahrt schon länger ein Begriff, manche hatten wohl auch schon von der barocken Klosterkirche als Sehenswürdigkeit gehört, aber einen Namen, der weltweit in die Schlagzeilen kam, machte sich Fürstenfeldbruck erst im Jahr 1972.

In der Nacht vom fünften auf den sechsten September endete auf dem Flugplatz der Kreisstadt die versuchte Befreiung von neun israelischen Sportlern, Trainern und Kampfrichtern, die im Olympischen Dorf als Geiseln genommen worden waren, in einem Blutbad. Bei einer überhastet vorbereiteten und dilettantisch durchgeführten Aktion kamen sämtliche Gefangenen, fünf der acht palästinensischen Attentäter und ein Polizeibeamter ums Leben. Heute erinnert eine Gedenkstätte vor dem Eingang zum Fliegerhorst an das Fiasko vor 50 Jahren.

Dass die „heiteren“ Olympischen Spiele von 1972 in München zu bitteren wurden, lag an dem palästinensischen Terrorkommando, das in den Morgenstunden des 5. September das Olympia-Team Israels überfallen, zwei der Sportler getötet und neun weitere als Geiseln genommen hatte. Sie versuchten dadurch, über 300 Gesinnungsgenossen aus israelischen Gefängnissen, aber auch Ulrike Meinhof in Deutschland frei zu pressen. Für sich und ihre Geiseln verlangten sie freies Geleit und ein Flugzeug, das sie in den Nahen Osten bringen sollte. Die deutschen Sicherheitsbehörden gingen nach mehreren Ultimaten zum Schein auf die Forderung ein und brachten die Terroristen und ihre Gefangenen mit zwei Hubschraubern nach Füstenfeldbruck. Der Militärflugplatz war wohl wegen der räumlichen Nähe zum Olympiazentrum und weil hier die wenigste Gefahr für Unbeteiligte drohte, ausgesucht worden.

Was genau in jenen Nachtstunden auf dem Vorfeld des Towers genau geschah, ist nicht mit letzter Sicherheit zu klären.  Augenzeugen - oder auch nur Wichtigtuer- - gab es zwar viele, aber die Aussagen widersprachen sich teilweise. Als ziemlich sicher kann gelten, dass nacheinander vier Hubschrauber in Bruck landeten. Zunächst trafen fünf sogenannte „Scharfschützen“ ein, offenbar Freiwillige der damals noch städtischen Münchner Polizei. Im zweiten Helikopter saßen wohl der bayerische Innenminister und der Münchner Polizeipräsident, außerdem – obwohl seinerzeit nur CSU-Vorsitzender – Franz Josef Strauß. Der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, der noch in München die Verhandlungen mit den Attentätern geführt hatte, wird nicht erwähnt. Ein Zeitzeuge will seine markante Stimme aber vom Tower gehört haben, als er so etwas wie einen Feuerbefehl („Nun schießt doch endlich!“) gebrüllt haben soll. Mit an Bord außerdem der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad. Jahrelang hielt sich später das Gerücht, eine israelische Anti-Terror-Einheit habe sich vor Ort bereit gehalten, habe aber nicht eingreifen dürfen.

Kurz nach halb elf landeten die letzten beiden Hubschrauber mit den neun überlebenden Geiseln und acht Attentätern. Und den Piloten, deren weiteres Schicksal in dieser Nacht auch nicht wirklich geklärt ist. Offenbar versteckten sie sich auf dem Gelände, einer von ihnen wurde offenbar irrtümlich für einen Terroristen gehalten und im Kugelhagel schwer verletzt. Zwei oder drei der Palästinenser inspizierten die Boeing 725 der Lufthansa, die angeblich mit laufenden Triebwerken zum Abflug bereit stand. Auch die Treibstoffanzeige – es hätte nie und nimmer bis zu ihrem Wunschziel Kairo gereicht – hätte die Entführer stutzig machen können, sofern sie geringste Luftfahrt-Kenntnisse hatten. Vor allem aber fehlte eine Besatzung, um die Maschine zu fliegen.  Dass sich tatsächlich Polizisten als Crew getarnt hatten, aber kurz vor Eintreffen der Palästinenser die Flucht ergriffen, klingt unwahrscheinlich, wurde aber auch immer wieder behauptet. Noch auf dem Rückweg von der Maschine wurde mindestens einer  der Attentäter erschossen, die anderen verschanzten sich in oder hinter den Hubschraubern, die entgegen der Absprache nicht mit der Nase zum Tower gelandet waren, sondern mit ihrer seitlichen Position Deckung boten.

Zu dem, was folgte, gibt es widersprüchliche Darstellungen. Anscheinend wurde zwei Stunden lang immer wieder aus Pistolen, Gewehren und Maschinenpistolen mit offenbar unerschöpflicher Munition von beiden Seiten gefeuert. Manche redeten später von einer ziellosen Ballerei wie im schlechten Film-Western, selbst der israelische Botschafter informierte seine Ministerpräsidentin Golda Meir später von chaotischen Zuständen und einer „unkontrollierten Schießerei“. Die fünf, nicht als solche ausgebildeten „Scharfschützen“, sondern wohl normale Streifenbeamte, hatten keine Präzisionsgewehre und untereinander keinen Funkkontakt. Vier von ihnen saßen in und auf dem Tower, einer - ohne Helm oder kugelsichere Weste - versteckte sich im Gelände, griff aber zunächst nicht in dem Kampf ein, um nicht versehentlich für einen der Gegner gehalten zu werden. Erst als einer der Terroristen auf ihn zu lief, eröffnete er das Feuer und wurde daraufhin von den eigenen Leuten beschossen. Er und einer der Piloten, der neben ihm Schutz gesucht hatte, wurden schwer verletzt. Nach einer Quelle soll auch der tödlich getroffene Polizeiobermeister im Erdgeschoss der Flugüberwachung durch eine „fehlgeleitete“ Kugel ums Leben gekommen sein.

Erst rund zwei Stunden später, als gepanzerte Fahrzeuge der Polizei eintrafen, in deren Schutz man an die Terroristen heranrücken konnte, erkannten offenbar die Geiselnehmer die Ausweglosigkeit der Situation. Sie töteten ihre Gefangenen durch Schüsse und eine Handgranate, deren Explosion einen der Helikopter ausbrennen ließ. Drei der Palästinenser überlebten das Massaker leicht verletzt und wurden entweder überwältigt oder gaben, was wahrscheinlicher scheint, auf. Sie wurden in der Brucker Klinik erstversorgt und dann in die Krankenstation von Stadelheim gebracht. Die traurige Krönung des Fiaskos war die Meldungt, mit der zunächst ein Mitarbeiter des Nationalen Olympischen Komitees an die Öffentlichkeit trat, die dann aber auch von Nachrichten-Agenturen und dem Sprecher der Bundesregierung übernommen wurde, als auf dem Flugplatz noch geschossen wurde. Alle Geiseln seien glücklich befreit worden. Erst Stunden später, auf einer Pressekonferenz in München, wurde die ganze Wahrheit bekannt.

Am Rande des Geschehens spielten sich unglaubliche Szenen ab. Tausende von Bruckern – das Feuergefecht war in der halben Stadt zu hören – und Schaulustige aus anderen Gemeinden drängten sich mit Kofferradios am Flugplatzzaun, der angeblich teilweise eingerissen  wurde. Auf den Zufahrtswegen bildeten sich lange Staus, das Haupttor zum Fliegerhorst war zeitweise von Gaffern blockiert. Hunderte von Reportern warteten vor der Hauptwache auf Informationen. Einem Fernsehteam soll es  gelungen sein, auf das Gelände zu kommen, es wurde aber von der Polizei gestellt. Ein „arabisch“ aussehender, dunkelhäutiger Korrespondent eines französischen Senders wurde tätlich angegriffen. Brucks Bürgermeister Willy Buchauer durfte ebenso wie Münchens OB Georg Kronawitter passieren, Landrat Gottfried Grimm – dem Verantwortlichen für den örtlichen Katastrophenschutz – wurde der Zugang verweigert. Auch im Krankenhaus war keine höhere Bereitschaft angeordnet. Der Fliegerhorst-Kommandeur, Oberst Heinz-Dieter Kuring, wies später jede Mitverantwortung zurück: Die Bundeswehr habe mit dieser reinen Polizei-Aktion nichts zu tun gehabt, nur Feuerwehr und Sanitäter gestellt.

Die Betroffenheit und die Empörung in den Tagen danach war groß. Viele Brucker hätten keine Gefangenen gemacht: „Alle umbringen“, oder „die Banditen sofort erschießen“ waren nicht untypische Kommentare, die die örtliche Presse von Volkes Stimme einfing. Sogar ein Polizist erzählte, dass er den verletzten Terroristen „am liebsten die (Infusions)Schläuche aus den Adern gerissen“ hätte. Eine Zeitung schrieb im NS-Jargon von "arabischen Mordgesellen". Aber „alle Araber ausweisen“ schien ohnehin Konsens bei den Befragten zu sein, nur Einzelne hinterfragten auch die polizeiliche Taktik. Erstaunlich: Niemand forderte einen Abbruch der Olympischen Spiele. Brucks Rathaus-Chef bat in einem Telegramm an die israelische Regierungschefin, „unser tief empfundenes Bedauern entgegenzunehmen“, im Rathaus lagen Kondolenzlisten aus, in der Klosterkirche fand eine ökumenische Gedenkfeier statt.

Schon zwei Tage später, der ausgebrannte Hubschrauber stand noch auf dem Vorfeld, landeten bereits wieder 20 Charter-Maschinen mit olympischen Delegationen auf dem Flugplatz. Bruck war neben Neubiberg während Olympia einer der Ausweich-Plätze für München-Riem. Ein Flugzeug hob an diesem Tag Richtung USA ab, um die Leiche eines ermordeten Israelis, der zugleich amerikanischer Staatsbürger war, an seine letzte Ruhestätte zu bringen. Die getöteten Palästinenser wurden nach Libyen überführt und erhielten dort eine "Heldenbestattung". Die drei Überlebenden des Terrorkommandos wurden nur wenige Wochen später durch eine weitere Flugzeugentführung frei gepresst, zu einer juristischen Aufarbeitung der Katastrophe ist es nie gekommen. Zwei von ihnen - wie auch ein Dutzend mutmaßlicher Planer und Mitwisser - liquidierte in den Folgejahren der israelische Geheimdienst. Einer soll sich bis heute in Afrika versteckt halten. 

 

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