Glanz und Gloria

Glanz und Gloria

Fotos: Corinna Eichberger-Renneisen

Text: Christoph Bergmann

 

Ob sich aus dem lateinischen „mons speculatorius“, dem Aussichtsberg, tatsächlich der heutige Name Spielberg ableitet, mag man bezweifeln. Warum hätte ein lateinischer Flurname für eine bayerische Anhöhe die Jahrhunderte überdauern sollen? Aber der Blick von dem Hügel über Oberschweinbach geht tatsächlich relativ weit ins Land und viele Bewohner über viele Jahrhunderte werden ihn genossen haben. Und tun es wahrscheinlich immer noch, wenngleich die Aussicht nicht mehr die Haupt-Attraktion ist. Auf dem ehemaligen Burgstall und späteren Kloster hat die Gemeinde eine Art Verwaltungs- und Kulturzentrum geschaffen. Und ein umtriebiger Förderverein hat viele weitere Pläne.

 

Von dem ersten Geschlecht, das auf der 1150 erstmals schriftlich erwähnten Burg residierte, weiß nur eine Legende zu erzählen: Zwei der drei Brüder von Spielberg warben demnach schon im 10. Jahrhundert um die holde Berta von der Glonnburg (Weyhern) und verletzten einander im Zweikampf tödlich, der dritte starb aus Gram um die Geschwister. An das Geschehen oder die Sage erinnern aber noch zwei verwitterte von ehemals drei „Sühnekreuzen“, die wohl im späten Mittelalter im benachbarten Unterschweinbach, dem Ort der Meucheltat, von unbekannter Hand aufgestellt wurden.

 

Der Ansitz ging später durch viele Hände, unter anderem die des Augsburger Patriziers Hans Welser. Dessen Tochter ließ 1625 die Burg abreißen und baute an gleicher Stelle ein Schloss, das noch auf einem Stich von 1701 mit Erkertürmchen und drei Geschossen sehr mächtig wirkt. Nach einem Brand im Jahr 1776 erhielt es seine heutige, nicht mehr ganz so imposante Gestalt. Zu dieser Zeit hatten sich bereits die Lerchenfelder eingekauft, ein in ganz Bayern reich begütertes Adelsgeschlecht. Sie waren auch die Eigentümer der Glashütte am Ortsrand von Oberschweinbach, wo Anfang des 19. Jahrhunderts auch Trinkgläser mit einer Lerche als Motiv hergestellt wurden. Direkt außerhalb der Schlossmauern standen damals Wohnhütten für die Arbeiter.

 

Bekannt bis heute ist Spielberg aber als Kloster. Im Jahr 1899 kauften die Franziskanerinnen aus Reutberg im Bezirk Tölz das vielleicht nicht mehr ganz standesgemäße Schloss und den dazugehörigen Grund. Zunächst acht Schwestern unter ihrer Oberin gründeten hier ein Kloster und eine erste Invalidenanstalt. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs entstand ein Lungensanatorium als Dependance des Harlachinger Krankenhauses. In einer überdachten, aber an den Seiten offenen Liegehalle, einem ehemaligen Heuschober, sollten die Kranken an der guten Luft dort oben genesen. Nach dem Krieg wurde Spielberg dann für viereinhalb Jahrzehnte zum Alten- und Pflegeheim. 

 

Die frommen Frauen lebten, abgesehen von der Patientenpflege, in strenger Klausur, nur etwa zehn von – zu Hochzeiten – 50 Schwestern hielten Kontakt mit der Außenwelt. Selbst bei Gottesdiensten in der 1901 errichteten Klosterkirche, zu der die Oberschweinbacher zugelassen waren, blieben die Nonnen unsichtbar auf der Empore. Es gibt die Anekdote von dem achtjährigen Burschen, später ein prominenter Oberschweinbacher, der unbedingt einmal einen Blick auf die sonst verborgenen Schwestern werfen wollte und zu diesem Zweck eine drehbare Vorrichtung in der Klostermauer nutzte. Die diente eigentlich als Viktualienmarkt: Auf Zuruf von außen ertönte auf der anderen Seite ein „Gelobt sei Jesus Christus“, das mit einem „In Ewigkeit Amen“ zu beantworten war. Dann meldeten die – meist – Kinder den Bedarf ihrer Mütter an frischem Gemüse und Salat und legten ein paar Groschen in die Drehtrommel, die auf der anderen Seite mit der gewünschten Ware gefüllt wurde. Und eben diese Vorrichtung nutzte der Knabe einmal, um sich selbst ins Innere zu befördern – blieb darin aber stecken! Außer einem sauberen Anpfiff des Pfarrers, dem Kloster-Spiritual, hatte dieser Bubenstreich des jungen Ministranten keine Konsequenzen. 

 

Die Spielbergerinnen versorgten das halbe Dorf mit Radi und Radieserln, an die Ärmsten wurden Eier und Milch verschenkt. Sie waren auch berühmt für ihr Obst. An die 100 verschiedene Sorten Äpfel, Birnen, Zwetschgen wuchsen im Klostergarten und wurden eingemacht oder zu Most verarbeitet. Durch ihre Landwirtschaft lebten die Schwestern fast autark. Sie bauten Getreide an, hielten Kühe und Schweine, Hühner und Bienen und schlachteten sogar selbst. Nur ein Knecht und ein Kuhhirte bildeten das weltliche Personal. Und offenbar beherrschten sie auch kleinere (tier)medizinische Eingriffe. Schwester Asunta half Kälbern und Kindern zur Welt und zog kranke Zähne. Ein per Fußpedal angetriebener Zahnbohrer hat sich im Nachlass erhalten.

 

Scientology wollte das Kloster kaufen

 

Noch 1995 betreuten elf Schwestern 23 Senioren in ihrem Heim, obwohl selbst schon zwischen 67 und 83 Jahren alt, und bewirtschafteten immer noch ein paar Hektar Grund. Aber neue Bewohner wurden nicht mehr aufgenommen, die Pflege lief langsam aus. Vier Jahre später verließen die letzten sieben Schwestern das Kloster. Der Nachwuchs fehlte, die irgendwann fällige Modernisierung des Altenheims wäre wohl auch ins Geld gegangen. Spielberg stand nach 100 Jahren wieder zum Verkauf.

1575 wurde die Schlosskapelle St. Cajetan als Teil des Hofmarkschlosses errichtet. Der sech-Seitige Turm mit Spitzhelm ist das Wahrzeichen von Spielberg.

 

Es gab einen Interessenten, der auch die zwölf Millionen D-Mark, auf die ein Gutachter den Wert von Anwesen und Grundstücken geschätzt hatte, zu zahlen bereit war und schon auf einen Notartermin drängte. Wie sich zeigte, schien er allerdings nur als Strohmann für die Scientology-Sekte aufgetreten zu sein. Das gab den Ausschlag dafür, dass die finanziell nicht gerade auf Rosen gebettete Gemeinde selbst ein Angebot für das Kloster – ohne den dazugehörigen Landbesitz – machte. Es gab nicht wenige Stimmen im Ort, die vor dem Ankauf warnten: Das „oide Glump“ da oben sei es nicht wert, sich bis über beide Ohren und über Generationen zu verschulden. Aber mit einer Stimme Mehrheit beschloss der Gemeinderat schließlich eine Investition, die bei einem Kaufpreis von am Ende sechs Millionen Mark aus heutiger Sicht als Schnäppchen gelten muss. Der Orden behielt die verpachteten Äcker und Wiesen rundum, außerdem den Waldbesitz, und ließ sich vertraglich unter anderem die Fortexistenz der Kirche und des Altenheims zusichern.

 

Letzteres wurde schnell weiterverkauft und danach abgerissen. Ein erster Investor stellte einen Neubau hin und veräußerte den wiederum – vermutlich nicht mit Verlust – an ein weiteres Unternehmen, von dem das Pflegeheim sozusagen parzelliert wurde. Es gehört heute über 100 verschiedenen Eigentümern, die entweder selbst schon dort wohnen oder – bis zum betreuten Alter – weitervermieten. Die Zweckbindung, wonach es ein Zuhause für Senioren bleiben muss, besteht aber nach wie vor. Nur das Erdgeschoss ist derzeit an (ukrainische) Flüchtlinge vermietet. Es gibt aber noch rund 40 Patienten im Pflegebetrieb, teils auf einer Demenz-Station.

 

Weil die Klosterschwestern nicht von „Normal-Sterblichen“ gesehen werden wollten, verkauften sie durch diese Drehtrommel ihr Gemüse und Obst.  Praktikabel, aber auch unwiderstehlich für einen neugierigen Bub, der sich selbst hineinsetzte – und prompt stecken blieb.

Im restlichen ehemaligen Klosterhof machten sich Vereine und Gemeinde breit. Die Feuerwehr ist dort eingezogen, die Schützen fanden ein Domizil. Der Abwasserzweckverband residiert in Spielberg, der Bauhof ist untergekommen und nicht zuletzt dient das alte Schloss heute als Rathaus. Wie in der früheren Hofmark werden die Oberschweinbacher heute also vom ehemaligen Burghügel aus regiert. Und 57 Gemeindebürger gründeten im Jahr 2002 den „Förderverein Klosterhof Spielberg“. Gewiss, ohne die erheblichen staatlichen Mittel aus Denkmalschutz und Städtebauförderung wäre es nicht gegangen. Aber der Verein hatte eben auch ein offenbar schlüssiges Konzept zu Erhalt und Sanierung der Anlage vorgelegt – und seine Mitglieder legten selbst mit Hand an. Bestimmt 10 000 Arbeitsstunden, schätzt der heutige Vorsitzende Marc Koch, wurden als geldwerte Eigenleistung eingebracht, ob sie nun aus professioneller Bodenverlegung bestand oder nur aus Schutt-Transport im Schubkarren.

 

In der Remise wird jetzt gefeiert

 

Zuerst wurde die denkmalgeschützte Cajetan-Kapelle von 1588, ein architektonisch eigenartiges Kirchlein mit zwei Seitenkapellen und einem sechseckigen Turm, wieder zum Ort der Besinnung.  Von den Reutberger Schwestern, die ja ihr eigenes Gotteshaus gebaut hatten, war die Kapelle zuletzt nur als Sarglager genutzt worden. Heute finden dort wieder Gottesdienste statt, die Ortsansässigen können sie für Taufen oder Trauungen nutzen. Gleichfalls saniert:  das schmucke, kleine Häuschen mit seinem Rundgiebel, das in der Denkmalliste als „Waschhaus“ geführt wird, aber auch schon als Torwärter- oder Prälatenhaus (die Wohnung des Kloster-Geistlichen) bezeichnet wurde. Zuletzt als Werkstatt genutzt, dient es heute als Lager und Archiv.

 

Mehr als eine Wiederherstellung war dann der Umbau der früheren Remise, des ehemaligen Wagenlagers, zu einem Veranstaltungssaal mit kleiner Küche. Heute der ideale Tanzboden, wie geschaffen auch für runde Geburtstage oder Hochzeiten. Einheimische können die Location für 200 Euro mieten, die örtlichen Vereine kostenlos nutzen. Auch der Förderverein, der Stühle, Tische und Kühlschrank vermietet, lädt hier zu Veranstaltungen, zuletzt etwa einer musikalischen Lesung. Dessen Einnahmen fließen wieder für den Vereinszweck, der ausdrücklich mehr als den reinen Bauunterhalt vorsieht. Der Klosterhof soll noch mehr und „nachhaltig mit Leben gefüllt werden“.

Das Luftbild zeigt eine alte Ansicht des Klosterareals – vor dem Abriss des Haupttraktes und Neubau des Seniorenheims

 

Weitere Pläne gibt es viele: In den ehemaligen Stallungen für Kühe, Pferde und Schweine könnten ein Theatersaal entstehen oder eine Backstube oder Gästezimmer. Schon fortgeschritten war die Planung für ein Tagescafé, ehe sie von einem ruhebedürftigen Nachbarn erst mal vor Gericht aufgehalten wurde. Auch die ehemalige Liegehalle für die Lungenkranken könnte anders genutzt werden denn als Wetterschutz für die nebenan weidenden Schafe. Bei vielen Oberschweinbachern, glaubt man beim Förderverein, ist die anfängliche Skepsis jedenfalls gewichen. Das Kloster sei den Leuten „inzwischen ans Herz gewachsen“, sagt der Vorsitzende Hoch. 220 Mitglieder sind heute dabei, darunter sogar einige Auswärtige, die nach einem Besuch des großen, jetzt schon traditionellen Herbstmarktes das Anliegen weiter unterstützen wollen.

 

Nur ein Teil des alten Klosters wird bleiben, wie er war: Der Friedhof mit gut 40 Ruhestätten für die ehemaligen Nonnen und das Gräberfeld für rund 50 Invaliden. Die letzten noch in Spielberg tätigen Ordensfrauen kamen vor ein paar Jahren noch mal zu Besuch, inzwischen sind auch sie hochbetagt verstorben. Aber zu ihrem Andenken gibt es jährlich einen „Schwesterngedenktag“, verbunden mit einem Patrozinium für Cajetan, den Namensgeber der alten Burgkapelle.

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