Jetzt erst recht!

Jetzt erst recht!

Strahlend blaue Augen, markante Gesichtszüge, Muskeln wie Popeye nach einer Dose Spinat und kein Gramm Fett auf den Knochen: Ein bisschen schaut René Pfaffner aus wie Jonny Weissmüller und mindestens genauso sportlich wie der berühmte Tarzandarsteller ist er auch. Als Triathlet ist der 33-Jährige aus Schöngeising, Mitglied und Kassierer im Tri-Team des Turn- und Sportvereins Fürstenfeldbruck, auf internationalen Wettkämpfen ziemlich weit vorn dabei. Sogar beim Ironman in Hawaii war er bereits am Start – und schnell im Ziel. Damit gibt sich der frischgebackene Papa aber längst nicht zufrieden.

Kaffee trinkt er nicht um wach zu bleiben, sondern zum Genuss. Bei seinen Wettkämpfen schaut René Pfaffner auch immer nach, ob sich nicht noch eine neue Rösterei in der Nähe besuchen lässt.

Kaffee trinkt er nicht um wach zu bleiben, sondern zum Genuss. Bei seinen Wettkämpfen schaut René Pfaffner auch immer nach, ob sich nicht noch eine neue Rösterei in der Nähe besuchen lässt.

Kaffee? Gerne! Dauert nur ein bisschen, sagt René Pfaffner und wählt die Bohnen aus. Die Mühle grollt, das Wasser blubbert. In Zeitlupe gießt der Athlet, der zu Land und Wasser für Otto-Normal-Sportler unvorstellbar schnell unterwegs ist, das heiße Wasser über den Kaffee. Rührt zwischendurch vorsichtig um – einer Zeremonie gleich. Seit zwei Jahren ist der durchtrainierte Sportler ein Kaffee-Gourmeast, das einzige, vielleicht nicht so sportkonforme „Laster“ (neben den Torten von Michis Backstube), dem er mit Leidenschaft frönt. Er ist ja kein Profisportler, wenn auch seine Leistungen und die Anzahl seiner Medaillen da ziemlich nahe herankommen.

Die wichtigste Auszeichnung hängt im Flur: Ein riesiges, schweres Teil, das über der hawaiianischen Blumenkette baumelt und den vielen Ansichtskarten die Show stiehlt. Auch Fotografien sind dabei. Darunter das Sterbebild seines Osteopathen. Einem Arzt, der vor zwei Jahren bei einer Wanderung in eine Gletscherspalte stürzte: „Ihm habe ich meine Teilnahme am Ironman zu verdanken“, sagt René Pfaffner.

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Von wem der Ehrgeiz stammt, zu erreichen, was unerreichbar scheint; die Ausdauer, weiterzumachen, wenn es anstrengend wird und doch aufzuhören, wenn der Verstand es sagt, weiß er nicht. Die Affinität zum Sport, zur Bewegung an der frischen Luft, damit wächst René Pfaffner auf. In einem Ort bei Dresden, wo der Wald und der Fußballplatz sein zweites Kinderzimmer sind. Neugier ist seine Triebfeder, die ihn verschiedene Sportarten ausprobieren lässt: Volleyball, Beach-Volleyball, Tischtennis, Handball, Karate ... und natürlich Fußball. Seit seinem siebten Lebensjahr kickt der älteste von drei Söhnen im Verein. Während der Ausbildung und Anstellung als IT-Systemelektroniker bei der Telekom in Dresden spielt er in der Bezirksliga. Ambitionen zum Profi hat er nie.

Mit dem Wechsel von Wohnort und Arbeitgeber nach München und als IT-ler zur Bundeswehr endet das Fußballspielen und er beginnt zu laufen. „Weil es der einzige Sport war, den ich überall machen konnte“, erzählt René Pfaffner, der viel unterwegs ist (2010 sogar 100 Tage in Afghanistan). Er schließt sich einer Laufgruppe an und lernt hier ein paar Marathonläufer kennen. Ein Marathon? René Pfaffner, der bis dato nie an so lange Strecken auch nur gedacht hatte, ist neugierig.  

Ein Buch, „Das große Laufbuch“, 408 Seiten dick: Das ist sein erster Trainer. Und es liegt immer noch griffbereit auf dem Küchentisch. René Pfaffner beginnt zu blättern. Sucht den Trainingsplan, mit dem er vor 15 Jahren begann. Und der ziemlich weit vorne ist. Zehn Wochen geht jeder Plan, täglich eine Einheit. Der ehrgeizige Sportler zieht ihn konsequent durch. 2006 steht er dann in München bei seinem ersten Marathon am Start. Ziemlich nervös. Seine Zeit? René Pfaffner lacht und zuckt mit den Schultern.

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Das Erreichen des Ziels ist für ihn nur der Start für das nächste Rennen. Seine Zeiten verbessern sich, die Platzierungen klettern nach oben. Der Reiz nach Neuem wächst. Ein Triathlon! René Pfaffner kann nur mäßig schwimmen und gar nicht kraulen. Also unmöglich! „Gerade deshalb und jetzt erst recht“, denkt er und macht das zu seinem Leitsatz.

In der Fürstenfeldbrucker Kaserne kommt er mit einem Triathleten zusammen, von dem er „alle Infos absaugt“. Bei einem Lehrgang in Lechfeld trainiert der Netzwerkadministrator in der Schwimmhalle. „Soll das Kraulen sein?“, fragt ihn da ein Kollege, der sich als Schwimmlehrer herausstellt. Und der ihm zeigt, wie es geht. Schnell zu sein, mit wenig Krafteinsatz. 2008 ist der erste Triathlon. In München. Die Olympische Distanz: 1500 Meter Schwimmen: 31 Minuten (René Pfaffner schüttelt den Kopf); 40 Kilometer Radfahren: ein 34 Stundenkilometer-Schnitt (jetzt schmunzelt er); zehn Kilometer Laufen: 57 Minuten (er lacht sich aus): Heute schwimmt der Durchtrainierte die Strecke in 23 Minuten, radelt über 40 Stundenkilometer und ist im Laufen 20 Minuten schneller.

Über seine Zeiten, seine Platzierungen führt René Pfaffner bis zum Jahr 2015 akribisch Buch. Um sich Ziele zu setzen. Erster Triathlon: Platz 205 von 370 Teilnehmern = 55 Prozent. 2015 ist er unter den ersten vier Prozent zu finden. 17 Triathlons und Duathlons liegen dazwischen. Bei Langdistanzen geht er mit zwei weiteren Sportlern als Staffelläufer an den Start. 2010, in Glücksburg an der Ostsee, sagt der Radfahrer kurzfristig ab. Pfaffner übernimmt kurzerhand 180 Kilometer Radfahren vor seinem 42 Kilometer-Lauf. Geschafft! Im nächsten Jahr ist er allein auf der gesamten Strecke unterwegs. Als 117. von 446 Teilnehmern kommt er nach elf Stunden und 19 Sekunden ins Ziel. „Ärgerlich“, zürnt er heute noch, weil ja nur 20 Sekunden fehlten zur „Zehn“, und weil er zwei Radpannen hatte.

Sein Ehrgeiz ist nicht stoppen. 2014 tritt René Pfaffner bei seinem ersten Ironman an: in Frankfurt. Der 1,73 Meter große und 70 Kilogramm leichte Athlet ist nervös. Wer hier den vorderen Platz belegt, qualifiziert sich für den Contest zwei Monate später in Hawaii! Doch er schafft „nur“ Platz 188 von 3013 Teilnehmern. 2016 geht er deshalb noch mal an den Start. Diesmal vorbereitet mit einer persönlichen Trainerin. Wenke Kujala schreibt seine Pläne. Strukturiert Einheiten, Be- und Entlastung, legt Pausen ein. Der Schub nach vorne ist deutlich. Trotzdem gelingt die Qualifikation „nur“ im zweiten Anlauf beim Military Challenge in Wiesbaden. Die Aufregung bei der Bekanntgabe wird René Pfaffner nie vergessen. Auch nicht das Piepsen des Geräts, als seine Kreditkarte durchgezogen wird und die Teilnahmegebühr von 960 Dollar vor Ort einzieht.

 

Jetzt muss René Pfaffner richtig Gas geben. „Ich hatte keine Ahnung, was ich wie organisieren muss“, lacht er. Von Profis bekommt er Hilfe, vom Reisebüro die Flüge gebucht. Sponsoren? Pfaffner schüttelt den Kopf. Die Bundeswehr, für die er startet, übernimmt einen Teil der Reisekosten und der Startgebühr. Alles andere muss er zahlen. Wie sonst auch. Vom TuS gibt es nur eine Kooperative mit einem Fahrradgeschäft, der günstiger repariert und bei dem man als Mitglied schneller einen Termin bekommt. Unterstützt wird er von Konditor und Freund Michi Hofmuth, der den Athleten auch mit seinen leckeren Kuchen aus seinem Backstüberl in Schöngeising nach dem Training aufpäppelt … „Das ist am Wochenende mein liebster Energielieferant“, lacht René.

 

Drei Wochen bleibt der Triathlet in Hawaii, 14 Tage vor dem Rennen zum Akklimatisieren, eine Woche hinterher zum Regenerieren – und um sich die Inseln anzuschauen. „So weit reist man ja nicht, ohne sich umzusehen“,  sagt Pfaffner, der stets seine Wettkämpfe mit Sightseeing (und Besuch von Kaffee-Röstereien) verbindet. Hier schwimmt er mit Delphinen und steigt auf Vulkane.

 

Seine wichtigste Medaille stammt aus Hawaii.

Seine wichtigste Medaille stammt aus Hawaii.

Um 6.55 Uhr ist Start, neun Stunden später ist er am Ziel. Im offenen, strömungsreichen Meer zu schwimmen (ohne Neopren und seinem Auftrieb), mit dem Rad durch eine schier endlose, schwarze Wüste zu radeln und in Backofenhitze stundenlang auf heißem Asphalt zu joggen: „Ein solcher Wettkampf würde in Europa nicht überleben“, ist sich René Pfaffner sicher. Seine Zeiten? Schwimmen 1:04 Stunden; Radeln 5:08 Stunden; Laufen 3:16 Stunden. Der Ausdauersportler ist stolz: Nie lief er bei einer Langdistanz schneller! Von 2400 Teilnehmern wird er 218. In seiner Altersklasse belegt er Platz 43; in der Military-Wertung Platz 4.

 

Nach Hawaii ist René Pfaffner ein Monat „ziellos“. Gibt Vorträge und überlegt, wie es weitergeht. Dann folgt eine Reihe von Mitteldistanzen. Wo er „Vollgas geben“ kann, ohne muskuläre oder energetische Probleme zu bekommen. Unter den „Top Five“ und oft auf dem Siegertreppchen der Altersklassenwertung ist er zu finden. „Verrückte“ Wettbewerbe sind darunter. Wie der „Red Bull Tri Island“: Wattwandern von Föhr nach Amrum, zurück drei Kilometer schwimmen, 40 Kilometer radeln, mit dem Boot zum Laufen nach Sylt ... ein Rennen gegen Wind, Wellen und Gezeiten. Doch Mitte des Jahres 2017 und mitten in der Wettkampfsaison, stürzt René Pfaffner beim Mountainbiken in den Alpen von einer Brücke. Er hat Glück: „Nur die rechte Ferse geprellt!“ Dennoch zwingt ihn die Verletzung zu vier Wochen Pause. Eine arge Geduldsprobe für ihn – und seine Frau Zusana, die zu der Zeit ihr erstes Kind erwartet. „Wenigstens hatte ich dadurch Zeit, das Büro zum Kinderzimmer umzubauen“, sagt René Pfaffner und strahlt ein stolzes Papa-Lächeln.

 

Die Uhren, sie ticken seit der Geburt von Zoé Elisa anders. Trainiert wird trotzdem. Keinen Sport machen, geht nicht – ein Ruhetag in der Woche muss reichen. „Ich kann nicht lange auf dem Sofa sitzen.“ Für andere Sportler schreibt er Trainingspläne. Im Winter trainiert der muskulöse Triathlet selbst Grundlagen und Kraft, im Sommer ist er draußen. Sechsmal in der Woche, elf Wochenstunden – „das ist extrem wenig“! Früher waren es bis zu 25 Stunden. In den Alltag muss er das Training oft integrieren: Zur Arbeit in die Fürstenfeldbrucker Kaserne, wo er die Offizierschule IT-mäßig betreut, fährt er mit dem Rad. Die 22 Kilometer sind besser als nichts.

 

Für 2018 hat sich René Pfaffner außergewöhnliche Wettkämpfe herausgesucht. „Highlight“ ist der „Inferno Triathlon“ in der Schweiz. „Mit ordentlich Höhenmetern“, schwärmt Pfaffner wo andere schon beim Zuhören zusammenbrechen: 3,1 Kilometer Schwimmen im Thuner See; 97 Kilometer Radfahren (2150 Höhenmeter); 30 Kilometer Mountainbiken (1200 Höhenmeter) und 25 Kilometer Laufen (2175 Höhenmeter)! Doping? „Da gibt es bei mir NULL Toleranz“, betont der Sportler, der selbst Ibuprofen gegen Muskelschmerzen strikt ablehnt. „Schmerzen haben ihren Sinn“, weiß Pfaffner, der schon Athleten zusammenbrechen sah. „Ich mache Sport, weil es Spaß macht, ich will keinen Raubbau an meinem Körper betreiben“, sagt der, dessen linkes Knie ein Kinesiotape ziert („Nur eine kleine Entzündung.“). Und nach Hawaii ist für den Schöngeisinger natürlich auch vor Hawaii: Die Teilnahme plant  René Pfaffner im nächsten Jahr ein.

 

„Ich versuche meine Grenze zu finden“, sagt der IT-Offizier, der anscheinend keine Grenzen hat. 100 Kilometer wanderte er kürzlich, dachte auch noch zwei Tage danach, dass sei das Maximum gewesen. Doch dann will sein Körper noch weiter. „Es ist eine Art von Sucht“, gibt René Pfaffner zu. Weniger der Sport selbst. Sondern vielmehr dieser einzigartige Moment ... wenn man die Ziellinie überschreitet ... und alle Anstrengung wie weggeblasen sind. Seine blauen Augen blitzen auf. „Dann steht man im Ziel und denkt: Ja, dafür hab ich alles gemacht.“

 

Petra Neumaier

 

 

 

 

Triathlon-Distanzen

 

Volksdistanz:

750 m Schwimmen, 20 km Radfahren, 5 km Laufen

Olympische Distanz:

1500 Meter Schwimmen, 40 km Rad, 10 km Laufen

Mitteldistanz Triathlon:

1,9 km Schwimmen, 90 km Rad, 21,1 km Laufen

Langdistanz Triathlon (Ironman)

3,8 km Schwimmen, 180 km Rad, 42,195 km Laufen

 

 

 

Sommer in der Stadt

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FEISTE ENGERL UND MUTIGE POLIZISTEN

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