Bei der piept’s wohl
Fotos: Corinna Eichberger-Renneisen / LBV – Text: Petra Neumaier
Es braucht Geduld. Und Stille. Ein Verharren in Bewegungslosigkeit. Selbst der Atem hält im Moment des Lauschens an. Sanft rauscht der Wind durch die Tannen, lässt das Laub an den Zweigen flattern und schnattern, und für einen Moment verstummen die eben noch deutlich hörbaren Vogelstimmen. „Sie wissen, dass wir da sind“, flüstert Christine Moser. Dann setzen die Amseln konzertant ihren Gesang fort, gurren die Tauben, und … irgendwo dort oben, rechts? links? ein zartes „si, si, si, si“. Christine Moser hebt den Arm und strahlt. „Ein Sommergoldhähnchen“, flüstert sie beglückt und zaubert an diesem Nachmittag im Walderlebniszentrum Grafrath auf 40 Gesichter ein ebensolches Lächeln. Und es stimmt: Vogelstimmen lauschen macht glücklich.
Die Beamtin der Kripo München ist ein wandelndes Vogelstimmen-Lexikon. Seit sie vor 18 Jahren an einer Führung des Fürstenfeldbrucker LBV (Landesbund für Vogelschutz) teilnahm, brennt sie regelrecht für Vögel, ist begeistert von deren Intelligenz und fasziniert von den Gesängen, für die sie ein außergewöhnliches Gehör hat: Selbst wenn Christine Moser redet, entgeht ihr kein noch so leises „zirp“. Fast alle in Mitteleuropa heimischen Vögel erkennt sie – und viel mehr, sowohl visuell als auch auditiv!
Rund 40 Teilnehmer – von Kindern bis zu Senioren – sind meistens bei den Führungen von Christine Moser dabei – und bis zum Schluss. Die meisten haben Ferngläser und Kameras dabei, vor die Linsen bekommen sie jedoch eher selten die sangesfreudigen Vögel: Sie sind viel zu gut in den Bäumen und Büschen versteckt.
Zuhören, sagt sie, ist das A & O. Und das voll konzentriert, dem Potpourri aus vielfältigem Gezwitscher. Allein die einzelnen Stimmen herauszufiltern, scheint dem Laien schier unmöglich. Amseln, Kuckuck, Tauben, vielleicht noch das Rotkehlchen erkennt man … aber es sind ja viel mehr, die sich in die Unterhaltung einmischen, irgendwo da oben in den Ästen und Zweigen. Und im Grafrather Walderlebniszentrum sowieso, weil die Vielfalt in dem forstlichen Versuchsgarten so groß ist und für jeden Vogel eine Nische reserviert wurde.
dum dum
dum dum
sagt gerade der „Zilzalp“. „Wenn man ihn hört, kann man in die Richtung gehen und ihn suchen“, sagt Christine Moser und wünscht „viel Erfolg“. Denn trotz Ferngläsern, die ihre Kursteilnehmer dabeihaben, werden sie nicht fündig – so gut verstecken sich die kleinen Tiere mit ihrem perfekt angepassten Gefieder. Umso wichtiger ist das Lauschen. Dem Gesang kann man sogar anhören, ob erfahrener oder unerfahrener Sänger, wie alt das Tier ist, in welcher sozialen Lage es sich befindet, was es gerade empfindet. Ja, sogar, welches Geschlecht der Vogel hat – zumindest, wenn man Christine Moser heißt, die ihr Wissen gerne teilt.
Die Amsel ist ihr persönlicher Liebling (wobei im Laufe der Wanderung noch weitere hinzukommen werden). Denn der Gesang hat einen großen Variantenreichtum, von hell bis dunkel, und ist meist sehr melodiös. Amseln können Regenwürmer unter der Erde hören, und sie sind sehr schlau: „Wollen sie eine Nahrungsquelle für sich allein haben, zwitschern sie einen Warnruf, der andere Vögel vertreibt“, erzählt Christine Moser begeistert. Vor Vier- und Zweibeinern warnt die Amsel gerade auch. Ebenso der Zilzalp mit einem „huit huit“. Dann verstummt aller Gesang für einen kurzen Moment. Bis …
si
si
si
si
Das Sommergeoldhähnchen
ist das Sommergoldhähnchen plötzlich zu hören – und so hoch, dass ältere Menschen den Ruf nicht mehr wahrnehmen können.
si si
Si si si
antwortet kurze Zeit später der winterliche Verwandte, der ganzjährig in Grafrath bleibt. Die putzigen Goldhähnchen zählen zu den kleinsten Vögeln Europas, sind äußerst agil und darum mit bloßem Auge schwierig zu sehen. Allein das Nest, das Christine Moser in einer Schachtel dabeihat, ist kaum handtellergroß. Sehr niedlich.
Der Zilzalp
Viele Vögel schauen gleich aus, die meisten haben sogar einen Doppelgänger, der sich nur durch kleine Farbnuancen unterscheidet. Darum muss man gut zuhören. Viele Vögel singen zudem im Dunkeln,
Weiter geht es durch den singenden Wald. Hier der Triller des Buchfinken, dort der Warnruf der Mönchsgrasmücke: „tak tak tak“… schnalzt sie, als würden zwei Kieselsteine aneinanderschlagen. Singt sie aber ihr melodisches, lautes Flöten, das mit einem leisen, schwätzenden Vorgesang beginnt, bekommt man gleich gute Laune. „wize, wize wize“ mischt sich die Tannenmeise ein, deren Gesang alles andere als vielseitig ist. Der melancholische, sanftmütige Gesang (zur Brutzeit singt der Mann – die Frau auch mal im Herbst) entspannt die Zuhörer. Darum ist er aus „Zwitscherboxen“ zu hören – kleine Holzkästen mit Bewegungsmelder, aus denen Vogelgesang spielt. „Nachweislich beruhigt sich das Herz-Kreislaufsystem beim Menschen, Ärger und Stress werden reduziert“, erklärt die Fachfrau, weshalb die Vogelstimme gerne therapeutisch eingesetzt wird.
Das Rotkehlchen: Sie sind nur deshalb so zutraulich, weil sie wissen, dass bei Gartenarbeiten (oder im Wald hinter Wildschweinen) etwas für sie abfällt. „Sie sind sehr schlau und nicht zahm“, stellt Christine Moser richtig.
Es gibt reinen Gesang, Kontaktrufe, Futtersuchpiepser. Alle Vögel, die sehr klein sind, piepsen viel, oft mehr, als dass sie singen – „oder das Tier redet gerade mit vollem Schnabel“, sagt Christine Moser und lacht, „so etwas gibt es nämlich auch.“ Singend locken die Vögel das andere Geschlecht an oder teilen sich ihr Revier auf: Wer besser singt, dem gehört der Raum. „Schade, dass das nicht bei den Menschen so funktionieren kann“, bedauert die Hobby-Ornithologin, wobei Amseln und Finken manchmal doch nicht so „ganz gewaltfrei“ wären.
Die Blaumeise
„Wer den gefiederten Frühaufstehern zuhören möchte, muss selbst nicht schon um sechs in der Früh unterwegs sein", sagt Christine Moser. Die Vögel seien auch über den Tagesanbruch hinaus zu hören.
Zu wissen, wer wo ist, eröffnete Christine Moser eine neue Welt und veränderte ihren Blickwinkel auf die Natur. Über die Jahre hinweg beobachten und lauschen erfüllt sie zwar, manchmal ist sie aber auch frustriert. Zwar wächst das Interesse der Menschen seit Jahren (ihre Führungen an den Wochenenden in den kommenden Monaten sind nahezu ausgebucht), doch die Zahl und Vielfalt der Vögel nimmt erschreckend ab. „Selbst die häufigsten Arten werden immer weniger“, sagt sie traurig und erzählt vom Girlitz, der noch vor Kurzem eine „08/15“-Art war. Sie selbst habe ihn seit drei Jahren in Oberbayern nicht mehr gesehen. 2024 entdeckte die 59-Jährige zufällig dann ein Exemplar in Oberfranken. „Ich habe vor Freude geweint“, erzählt sie.
Und appelliert an alle, sich für die zarten Geschöpfe zu engagieren: Zur rechten Zeit das richtige Futter (auch während eines nassen Sommers) sowie Wasser an trockenen Perioden bereitzustellen. „Artenvielfalt fängt vor der eigenen Haustür an“, sagt Christine Moser und meint dabei auch Insektenhotels. Auch bittet sie inständig, die Augen offen zu halten für Fallen: Denn noch immer – vor allem in südlichen Ländern – werden Singvögel trotz Verbot für die Gourmetküche getötet. Auch sie selbst habe in Griechenland schon Jäger ertappt, die mit fadenscheinigen Gründen auf Vögel schossen. „Mund aufmachen für die Natur“, wünscht sie sich deshalb, während für deren Beobachtung eher „Mund halten“ angebracht ist. „Wir sind hier zu Gast und der Wald ist kein Wohn- oder Kinderspielzimmer“, mahnt sie und bittet um angemessenes Verhalten und Achtsamkeit.
Um all die hunderte verschiedener Gesänge zu unterscheiden, braucht es neben Neugier viel Übung, ein gutes Gehör und ein gutes Gedächtnis. Christine Moser brachte sich das Wissen mit unzähligen Vogelstimmen-CDs und vielen Büchern bei. Und natürlich durch konzentriertes Zuhören.
Nach drei kurzweiligen Stunden verabschieden sich strahlende Gesichter von einer sehr zufriedenen Christine Moser. „Ich sehe es als meinen Auftrag an, Menschen zu begeistern, sie aufmerksam zu machen auf das, was sie bislang nur am Rande bemerkt haben. Ihnen eine neue Welt zu eröffnen und zu zeigen, was man tun kann, um diese zu erhalten“, sagt sie und freut sich schon auf die nächste Führung.
Die nächsten Vogelstimmen-Exkursionen bei Christine Moser sind:
Samstag, 7. Juni. 15.30 bis 18.30 Uhr, Alt-Kaufering, Treffpunkt Parkplatz Ende Auenweg
Samstag, 14. Juni, 16 bis 19 Uhr, Zellsee, Treffpunkt: Parkplatz Gasthof Eibenwald Paterzell
Samstag, 28. Juni, 16 bis 18.30 Uhr, Landsberg, Treffpunkt: Parkplatz Mutterturm