Wir sind besser, als wir meinen
Es wird Sommer! Reformstaus und Bürokratismus beginnen vorsichtig, sich aufzulösen. Verglichen mit den USA bekommen wir eine professionelle neue Regierung. Ebenso Kanada, das international einen Sympathieschub erlebt. Die Ukraine scheint durch geduldiges Verhandeln dem „Dealmaker“ im Weißen Haus einen erstaunlich guten Vertrag abgeluchst zu haben.
Nein, das war nicht ironisch gemeint. Menschen sind lernfähig und wollen zusammenarbeiten, auch wenn es auf den ersten Blick oft nicht so aussieht. In der Wissenschaft fühlt eine kleine, aber wachsende Schar von Forschenden dem globalen Pessimismus auf den Zahn. Und stellt fest: Auf lange Sicht läuft es meist besser, als die Untergangspropheten es vorhergesagt haben.
Rutger Bregman, ein niederländischer Historiker, ging den Geschichten in seinem Land nach und stieß auf das kleine Dorf Nieuwlande, das einen europäischen Rekord hält: In keinem anderen Ort fanden während des Dritten Reichs prozentual mehr Jüdinnen und Juden Unterschlupf. Fast hundert waren es, bei gut tausend Einwohnern. Mehrmals wurde untersucht, was in Nieuwlande besonders war. Warum waren die Menschen hier mutiger und brachten sich in höchste Lebensgefahr?
Ein wichtiger Grund war der dort wohnende Widerstandskämpfer Arnold Douwes, ein sehr engagierter Mann Mitte 30. Aber warum konnte er so viele seiner Mitbürger als Helfer gewinnen? Was war an diesen Leuten anders? Eine Analyse aller Studien zeigte schließlich, dass fast alle (genau gesagt 96 Prozent) die gefährliche Aufgabe übernahmen, wenn eine Bedingung erfüllt war: Sie mussten gefragt werden. Nächstenliebe ist ansteckend wie ein Virus, schrieb einer der Wissenschaftler. Wenn Sie also Gutes tun wollen, suchen Sie sich Leute, die mithelfen. Trauen Sie sich, zu fragen. Schluss mit „es hilft ja doch keiner“! Menschen sind hilfsbereiter, als Sie denken.
Aus anderen Untersuchungen weiß man: Bittet ein Mensch einen anderen mit Erfolg um einen Gefallen, entsteht zwischen beiden eine besonders stabile Verbindung. Wollen Sie also mit dem neu eingezogenen Typen in Ihrer Straße in Kontakt kommen, laden Sie ihn nicht nur zum Straßenfest ein – sondern bitten Sie ihn, mitzuhelfen und vielleicht für stimmungsvolle Musik zu sorgen. Der Hintergrund: Wenn Sie Ihren Annäherungsversuch mit Belohnung verbinden („für Sie sind alle Speisen und Getränke gratis“), kann das als Einschleimen missverstanden werden („was will diese Person von mir?“). Bringen Sie dagegen Ihr Gegenüber dazu, etwas für Sie oder andere zu leisten, liegen Initiative und Entscheidungsfreiheit bei ihm.
Man nennt das auch Benjamin-Franklin-Methode, weil der US-Politiker diesen Effekt um 1780 in seiner Biografie beschrieben hat. In seiner politischen Karriere erlebte er mehrfach, dass jemand bereit war, ihm entgegenzukommen, wenn er diesen Jemand um einen Gefallen bat – selbst, wenn es sein Konkurrent war.
Werner Tiki Küstenmacher, Baujahr 1953, evangelischer Pfarrer im Ehrenamt, Karikaturist und Buchautor, lebt in Gröbenzell. Ende Juni gibt es in seiner Straße das alljährliche Nachbarschaftsstraßenfest.