Jenseits des Horizonts

Jenseits des Horizonts



Fotos: Simon Katzer / Privat – Text: Petra Neumaier

 

„Wenn einer eine Reise tut, dann …“ kann sie das ganze Leben verändern – und nicht nur das eigene. Daria und Christoph Schaaf, die gelernte Krankenschwester und der Software-Unternehmer aus Germering, haben vor sieben Jahren eine solche Reise unternommen: Mit dem Liegefahrrad (ohne E-Antrieb!) fuhren sie von ihrer Heimatstadt nach China. 7500 Kilometer über glühend heiße bis tief verschneite Straßen, durch Schlaglöcher und Flussläufe, in Schneestürmen und sengender Hitze. Über ihre eigenen Grenzen hinauswachsend erlebten die beiden die Einzigartigkeit der Natur und begegneten Menschen, die trotz ihrer Armut die Reisenden bewirteten. Und so wurde die Reise nicht weniger als ein inzwischen prämiertes Unternehmen: „ClimateNuts“ setzt sich für Klimaschutz, Naturschutz und die Entwicklung der ärmsten Regionen der Welt ein.

Alles begann Mitte 2017 – „nein, eigentlich 1986“, korrigiert sich Christoph Schaaf. Als 13-Jähriger war er damals mit den Pfadfindern fünf Wochen lang in der Türkei unterwegs: viel zu Fuß, im Freien schlafend. Die Erlebnisse prägten ihn, und das Bedürfnis, über den Horizont hinauszublicken, wurde geweckt. Nach dem Studium (Alte Musik und Gitarre) startete er zu einer Weltreise, die sich dann doch „nur“ sieben Monate lang auf Südamerika beschränkte. Wieder zurück lernte der junge Mann (dank der verspäteten S-Bahn in München) Daria auf dem Bahnsteig kennen. Als (Ehe-)Paar arbeiteten sie schließlich einige Jahre in der Software-Firma seines Vaters.

2016 wurde diese verkauft, und dem Paar wurde bewusst: Ein Leben, das nur um Arbeit und die persönlichen Ziele kreist, ist nichts für sie. Mitte 2017 war die Sehnsucht nach der großen, weiten Welt schließlich größer als die Angst.

Daria hatte 25 Kilogramm Gepäck zu transportieren, Christoph noch einmal zehn Kilogramm mehr. Das Seit nahm er mit, um im Notfall seine Frau „abschleppen“ zu können. Es wurde auf der langen Reise nie gebraucht.

„Wenn nicht jetzt, werden wir es bereuen.“

Job und Wohnung wurden gekündigt, das Auto verkauft, und die Reise auf dem Liegefahrrad („für lange Strecken komfortabler“) wurde akribisch geplant. Im April 2018 verabschiedeten sich die beiden von Freunden und Familie am Germeringer Stadtplatz.

Von München aus radelten sie auf dem Donauradweg durch Österreich und Ungarn, dann durch Rumänien, Moldawien, die Ukraine, Georgien, Armenien, den Iran, Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan bis zur chinesischen Grenze. Dabei überwanden sie Pässe mit bis zu 4655 Höhenmetern, durchquerten schier endlose Wüsten und dunkle Wälder. Moderne Städte wurden besucht, ebenso Karawanenstationen aus „1001er Nacht“. Mal entspannt und gemächlich, mal abgehetzt mit ablaufenden Transitvisa im Nacken. Ihre Abenteuer sind im Blog und Film (www.lines-of-the-silkroad.de) festgehalten. Die Dokumentation „Lines of the Silk Road“ gewann später auf fünf internationalen Festivals 2020 und 2021 Preise.

„Letztendlich braucht man nicht mehr als drei Dinge im Leben: Eine Aufgabe, die mit Sinn erfüllt; Menschen, mit denen wir gemeinschaftlich zusammenarbeiten und Dankbarkeit für die Sicherheit, die Gesundheit und das angenehme Leben, das uns unser reiches Land bietet.“

„Insgesamt haben wir die tiefe Erfahrung mitgenommen, dass die Welt ein überaus freundlicher Ort ist und wir uns wunderbar über kulturelle Unterschiede hinweg verstehen. Und sie ist anders, als wir in den Medien vermittelt bekommen.“ 

Die beiden Abenteurer verbrachten die Nächte überwiegend bei wildfremden Menschen, die sie von der Straße weg einluden. Wie Freunde, wie Familienmitglieder wurden Christoph und Daria willkommen geheißen und großzügig bewirtet – obwohl die Gastgeber oft selbst kaum genug hatten. „Es war überall schön, doch der Iran war speziell, weil dort muslimische Gastfreundschaft und persische Tradition zusammentreffen“, schwärmt Christoph Schaaf noch heute.

Dass gute Verständigung weit über kulturelle und religiöse Unterschiede hinweg möglich ist, dass die Chance fast immer größer als das Risiko ist, und dass man sehr viel gewinnen kann, wenn man mehr Mut als Angst hat (weil das Vermeiden aller Risiken auch bedeutet, all das zu vermeiden, was das Leben an Fülle und Reichtum bietet) – diese und weitere Erkenntnisse nahm das Paar mit nach Hause, wo sie im Dezember 2018 mit einem alten Lada und den Rädern auf dem Dach ankamen.

Das alte Leben wieder zu leben, ist da unmöglich. Allein der Anblick des ausgetrockneten Aralsees traumatisierte. Sein Taekwondo-Meister hatte im Vorfeld schon augenzwinkernd gewarnt:

„Nach so einer Reise bist du für ein normales Berufsleben verloren.“

Letztendlich sind die Demonstrationen von „Fridays for Future“ eine weitere Initialzündung: Die Aussicht, dass die katastrophale Klimazukunft nicht mehr abzuwenden ist, bereitete dem Paar schlaflose Nächte. Doch weil Aufgeben keine Option für sie ist, machten sie sich auf die Suche. Und stießen auf das „Drawdown-Projekt“. Über 70 Wissenschaftler hatten bereits 2013 die 100 effektivsten Lösungen gegen den Klimawandel erarbeitet, darunter Nahrungswälder, Experten nennen sie „Agroforstsysteme“.

„Afrika braucht keine Hilfe, es braucht Investment – selbst wenn sich das unromantischer anhört als eine Spende“, sagt Christoph Schaaf. Interessenten, die sich als Investoren an dem Projekt beteiligen wollen, können sich gerne telefonisch unter 0159 01888464 bei Christoph Schaaf melden. Weitere Informationen: www.climatenuts.de

Christoph Schaaf nahm Kontakt mit einer einheimischen Organisation in Sierra Leone (Westafrika) auf und brachte mit der Gründung seines neuen Unternehmens ClimateNuts 2021 einen Stein ins Rollen: 100 Hektar Nahrungswälder mit Cashew-Bäumen, Chili, Gurken, Okra, Auberginen und Zwiebeln wurden innerhalb der nächsten Jahre gepflanzt. Zudem Ziegen angeschafft und eine Hühnerfarm aufgebaut. Über 8000 Menschen in zehn Dörfern werden jetzt nicht nur satt, die Erzeugnisse werden auch verkauft und zum Teil exportiert. In Eigenverantwortung und Eigeninitiative – aber mit Hilfe von deutschen Investoren: Sie finanzieren Setzlinge, Samen, Tiere und Maschinen und erhalten einen Teil der Erlöse als Rendite. Christoph Schaaf schüttelt den Kopf: „Nein, mit modernem Kolonialismus hat das System nichts zu tun. Aber Geld, das Menschen umsonst bekommen, zerstört ihren Willen.“

Das System funktioniert jedenfalls so gut, dass „Climate Nuts“ 2023 im Maximilianeum mit dem „German SDG-Award“ vom Senat der Wirtschaft Deutschland ausgezeichnet wird. Für das Ehepaar Schaaf ist das aber nur der Anfang. Denn das Ziel ist, das Einkommen in den Dörfern zu verdreifachen, um überflüssig zu werden. Dabei hilft vor Ort das Team aus Einheimischen. Bis es so weit ist, hoffen sie, mit dem Einkommen der Dorfgemeinschaften bald eine Krankenschwester einstellen zu können. Malaria, Typhus, Durchfall, Wundinfektionen sowie die hohe Mütter- und Kindersterblichkeit sind Herausforderungen.

Mindestens einmal im Jahr sind die Germeringer in Afrika. „Es gibt für uns im Leben kein Zurück. Die Reise geht immer weiter.“

Germering im Frühsommer 2025. Daria und Christoph Schaaf, die etwa die Hälfte des Jahres in Darias Heimat Polen verbringen, sind mal wieder in Germering. Der Spaziergang zum Germeringer See gehört bei jedem Aufenthalt dazu. Die Natur ist eben ihr Element, dem sie sich verschrieben haben. Und der Einklang mit dem Menschen darin.

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