„Das Rezept meines Lebens“
Fotos: Simon Katzer, privat Text: Petra Neumaier
Sonja Eckl-Gruber ist ständig unterwegs. Darum kann das Interview nur am Telefon stattfinden – während im Hintergrund der Motor ihres Fahrzeugs läuft, ihr Hund bellt, ihre Schritte beim Gassigehen zu hören sind und schließlich sogar das Rascheln und Piepsen einer Einkaufskasse – wohl in Volkach, wo sie fünf Tage lang die Besucher des Weinfestes mit ihren Asia-Nudeln verköstigen wird. Trotzdem ist die agile Frau aus Pfaffenhofen in ihren Aussagen unglaublich konzentriert und präsent. „Ich mache alles zu 100 Prozent“, wird sie später sagen und beweist das allein schon während des Gesprächs. Als geborene Schaustellerin, Barista, Linergistin, Köchin, Organisatorin und Sängerin muss man wohl Multitasker sein.
100 Prozent: Sonja Eckl-Gruber überlässt nichts dem Zufall. Eine Woche vor dem Festbeginn wird ihr Stand aufgebaut. Währenddessen fährt sie herum, sucht sich die Zutaten ihrer Gerichte aus der Region zusammen („das ist mir wichtig“), schnippelt stundenlang, würzt mit ihrer selbstkreierten, perfekten Mischung und kocht natürlich auch: „Alles frisch“, sagt sie, „100 Prozent“.
„Das Stadtkind“ Sonja Eckl-Gruber lebt seit 16 Jahren in Pfaffenhofen. „Nie hätte ich gedacht, dass ich mal aufs Land ziehe. Aber ich habe mich sofort hier zu Hause gefühlt. Pfaffenhofen ist mein Zweitwohnsitz und meine Ruhe-Insel, meine Save Zone, wenn man so will. Hier komme ich zur Ruhe!“
Liebe auf den ersten Blick: Nach dem unerwarteten Tod ihres Hundes sah Sonja Eckl-Gruber ein Bild von „Wendy“ – und ihr Herz schlug sofort „hoch“. Bei der Bewerbung gestand sie der Tierschutzorganisation ihr turbulentes Leben; vielleicht auch wegen ihrer Ehrlichkeit wurde ihr der Hund anvertraut. Seit zwei Jahren ist der Hund mit der „liegenden Acht“ im Namen an ihrer Seite und macht alles mit, als hätte er nie ein anderes Leben geführt.
Das Schaustellerblut fließt (väterlicherseits) seit Generationen in den Adern ihrer Familie. Schon die Urgroßeltern zogen mit einer kleinen Achterbahn von Ort zu Ort. Später dann die Großeltern, die eine Schießbude, eine Ringe-Wurfbude und eine Mandelbrennerei betrieben. „In Traunstein, wo sie im Winter lebten und wo wir Kinder oft waren, hatten sie seit Anbeginn einen Stand auf dem Christkindlmarkt“, erzählt Sonja Eckl-Gruber stolz, die mit ihrem Glühweinstand (100 Prozent Familienrezeptur) die Tradition in vierter Generation weiterführt – „Traunstein ist immer noch ein Stück Heimat.“
1968 kam die Geisterbahn in die Familie. Zunächst eine kleine, die sogar noch in Familienbesitz ist, 1970 eine größere, die die Eltern von Sonja Eckl-Gruber betrieben: Die Weltneuheit „Shocker“, bei der lebende Geister die Besucher in Angst und Schrecken versetzen. Uahhhh! Die unheimlich veränderte Stimme der jungen Sonja war ebenfalls aus den Lautsprechern zu hören. Doch das kam später, wie auch die weiteren Fahrgeschäfte: Zugspitzbahn, Hully Gully, Autoscooter, Calypso und der „Pilspub“, mit dem die Eckls sogar in Fürstenfeldbruck anzutreffen waren.
Fast logisch, dass die Tochter standesgemäß auf der Wiesn getauft und gefirmt wurde. Weil den Eltern die Schulbildung sehr wichtig war, gingen sie und ihr Bruder (später ebenfalls Schausteller) auf das Lehel-Internat in München, wo die Familie ihren Hauptwohnsitz hatte (und Sonja Eckl-Gruber ihn noch hat). An den Wochenenden und in den Ferien waren sie jedoch zusammen. Und in der Saison in dem großen Wohnwagen mit eigenem Kinderzimmer. „Ein schöneres Aufwachsen kann ich mir nicht vorstellen, wir hatten ja alles, wovon andere Kinder träumen“, schwärmt Sonja Eckl-Gruber und erzählt von Karussells und Leckereien satt, von den Spielen mit den vielen anderen Kindern und den Freundschaften. Früh wurde sie hier zudem selbständig, übernahm Verantwortung und weil die Mutter Wert darauflegte, dass die Kinder die Städte und ihre Sehenswürdigkeiten kennenlernen, wurden auch jene Orte ein Stück Heimat.
Sonja Eckl war etwa 16 Jahre alt, als die vermeintlichen „Wachstumsschmerzen“ in den Gelenken nicht vergehen wollten. Ein Arzt tippte auf die Psyche, ein anderer diagnostizierte richtig – Rheuma! Da konnte sich die heranwachsende Frau schon kaum noch bewegen. Es folgten Therapien, viele Spritzen und eine Chemo, deren Nebenwirkungen sie fast umbrachten. Zwei Jahre gaben ihr die Ärzte, bis zum Rollstuhl. Sie schüttelt den Kopf: Aufgeben? Das gab es schon als Kind für sie nicht. Und so begann Sonja Eckl instinktiv, auf ihren Körper zu hören. Entschied selbst über Therapien, die ihren Körper nicht noch mehr belasteten. Und wettete mit den Ärzten, dass sie mit ihren schlechten Prognosen falsch liegen … das Mädchen gewann! Auch dank eines Arztes, der ein väterlicher Freund wurde.
Die Krankheit (vor allem aber die Liebe) machte sie sesshaft. Die Eltern ließen ihren Kindern ohnehin die Freiheit, über ihren Beruf selbst zu entscheiden. So machte Sonja Eckl eine Ausbildung zur Linergistin und wurde Spezialistin für Permanent-Make-up. „Ich liebte diese Arbeit, weil ich aber viel mit schwer kranken Krebspatienten zu tun hatte, war ich zunehmend emotional belastet.“ Ihre Empathie führte schließlich dazu, dass sie fast selbst krank wurde.
Die Schaustellersaison fängt bei Sonja Eckl-Gruber im April an und hört nach dem Oktoberfest (auch heuer ist sie dort anzutreffen) auf – nach eineinhalb Monaten folgt aber schon der Christkindlmarkt in Traunstein. Zwischendurch ist sie für Caterings unterwegs: für bis zu 80 Gäste.
Schon als Kind liebte Sonja Eckl-Gruber Kochsendungen; später bekochte sie leidenschaftlich gerne Freunde. Und so nahm sie Anfang 2010 das Angebot an, das Catering auf dem Bavaria Filmstudio beim Dreh der Serie „Marienhof“ zu übernehmen („das hat mich sehr gereizt“). Eineinhalb Jahre – bis die Seifenoper eingestellt wurde – verköstigte sie die Crew – und lernte dabei auch ihren späteren Mann, Michael Gruber, kennen. Ein Pfaffenhofener, den sie stets liebevoll „meine große treibende Kraft“ nennt und der sie ermutigte, zur Schaustellerei zurückzukehren. Als die Eltern das Fahrgeschäft aufgaben, betrieben sie zusammen ein größeres Café, aus dem dann ihr „Café Glück“ werden soll – doch dazu später.
Bei der Glühweinbude auf dem Traunsteiner Christkindlmarkt und dem Café blieb es bei dieser Action-Frau natürlich nicht. Denn hinzu kam der Asia-Nudel-Stand, („dank eines lieben Freundes, der uns die Chance für die erste Veranstaltung gab“), woraufhin der Organisator des Volkacher Weinfestes auf sie aufmerksam wurde. Ab da hieß es: Nudeln im Sommer, Glühwein im Winter und dazwischen Streetfood-Festivals und Caterings – 15 Jahre lang, bis Corona.
Die 52-Jährige atmet hörbar ein. Der Schock, von einem Tag auf den anderen arbeitslos zu sein und ihr Unternehmen zu verlieren, sitzt noch immer tief. „Anfangs bin ich fast durchgedreht, ich hatte ja keine Aufgaben und kein Einkommen mehr.“ Doch Sonja Eckl-Gruber wäre nicht Sonja Eckl-Gruber, wenn sie sich von der Angst lähmen lassen würde. Anstatt die Hände in den Schoß zu legen („nützt ja nix“), nahm sie erneut das Schicksal selbst in die Hand und eine Stelle als „Mädchen für alles“ in einer Arztpraxis an – und findet in dem Team sogar Freundinnen fürs Leben.
„Ich liebe Herausforderungen“,
sagt sie, und machte gleich drei Ausbildungen zur Barista. Crêpes kann sie sowieso, und schon 2021 eröffnete Sonja Eckl-Gruber auf der Wiesn ihr „Café Glück“, das klimaneutral zertifiziert ist und natürlich („100 Prozent“) in dem nur regionale Zutaten mit viel Liebe verwendet werden. Zu fairen Preisen, betont sie, und lobt ihr fleißiges Team, das das Trinkgeld stets dem Kinderhaus AtemReich spendet.
Bleibt die Frage, wie sie das alles schafft? „Musik ist seit Kindertagen meine Therapie“, sagt sie, und ihr Instrument ist ihre Stimme. Allein studierte die hübsche Frau die Lieder ein, von Whitney Houston bis R’n’B. „Das Singen ist meine Meditation, in die ich mich komplett fallen lassen kann.“ Zwanzig Jahre jung nahm Sonja Eckl für ein paar Monate Gesangsstunden bei Anneliese Hofmann de Boer, der Gesangs- und Schauspiellehrerin, bei der auch Stefanie Hertl, die Kessler-Zwillinge oder Stefan Mross waren. „Ich wollte meine eigenen Grenzen kennenlernen, aber als die liebe Frau starb, mochte ich keinen Unterricht mehr.“
Mit ihrem Talent hätte sie ins Musikgeschäft einsteigen können. Berühmt werden und sein, ist nicht ihr Ding. Ihr spontanes Einspringen für einen Sänger beim 71. Delegiertentag des Deutschen Schaustellerbundes 2020, vor über 1000 Gästen (unter ihnen der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz, Ministerpräsident Markus Söder und sein Stellvertreter Hubert Aiwanger), ist dennoch heute noch Gesprächsstoff – und auf YouTube über 18 000-mal angeklickt.
Sonja Eckl-Gruber, vor einigen Jahren ihre sonst kurzen Haare wachsen ließ, um sie für Krebskranke zu spenden und die jüngst bei einem Unfall ihre Schulter so verletzt hat, dass sie im Herbst eine neue bekommen muss, lässt sich nicht von nichts und niemandem unterkriegen. Dem stets präsenten Rheuma, Schmerzen und Krankheiten gibt sie nur minimal Raum, um ihr Leben davon nicht beherrschen zu lassen. „Gestern habe ich mir leidgetan, heute geht es weiter“, sagt die 52-Jährige fröhlich. „Denn jede Medaille hat zwei Seiten – man sie nur umdrehen: Das ist das Rezept meines Lebens.“